„Jeder braucht einen Platz in der Welt, einen Ort, an den er gehört, und Menschen, in deren Mitte er Geborgenheit findet. Niemand kann in den Räumen dazwischen leben, da muss er abstürzen.“
(aus „Nathan und seine Kinder“ von Mirjam Pressler, * Juni 1940, † Jänner 2019; Schriftstellerin und Übersetzerin)
Einleitung
Dieses Zitat aus einem Roman führt anschaulich vor Augen, wie groß die Bedeutung von Familie im Leben jedes Einzelnen ist. Das Gefühl von Sicherheit und Weltvertrauen als Sozialisationsleistungen jeder intakten Familie geraten gar nicht so selten durch einschneidende Ereignisse ins Wanken, etwa dann, wenn ein DNA-Test die Vaterschaft jenes Mannes ausschließt, der bis dahin (irrtümlich) überzeugt war, Vater des betroffenen Kindes zu sein. Die Konsequenzen sind dann nicht nur tiefe emotionale Betroffenheit bei Mann und Kind, Lebenskrisen und familieninterne Konflikte, sondern überdies mannigfaltige Rechtsfolgen.
Nicht zuletzt durch die langjährige Zusammenarbeit mit einem DNA-Labor habe ich in unzähligen Kuckuckskindfällen Betroffene rechtlich beraten und erfolgreich vertreten. Meine Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre würden genügend Stoff abgeben, um einige Bücher zu schreiben. Die Eckpfeiler der Rechtslage habe ich für einen der zahlreichen einschlägigen Fachvorträge nicht nur in einer Präsentation, sondern für Publikationszwecke überdies wie folgt zusammengefasst:
Abstammungsrecht
Das Wunder des Lebens, wenn eine Frau, indem sie einem Kind das Leben schenkt, einen Mann zum Vater macht, folgt den allseits bekannten Regeln der Biologie. Die Zusammenhänge, wie auf biologischem Wege Mann und Frau zu Eltern eines Kindes werden, mögen klar erscheinen.
Dennoch sind biologische Sachverhalte keine Rechtsquelle. Vielmehr bedarf es eigener familienrechtlicher Bestimmungen, welche festlegen, welcher Mann und welche Frau in rechtlicher Hinsicht mit allen daraus folgenden Konsequenzen als Eltern des Kindes gelten. Die derzeitige Gesetzeslage beruht auf dem folgenden Modell.
Mutterschaft
Die Frage der Mutterschaft löst das geltende Recht, indem es auf den Vorgang der Geburt abstellt:
Mutter ist nach dem Gesetz jene Frau, welche das Kind geboren hat. Die Gesetzeslage ist demnach synchrones Abbild des biologischen Mutter-Kind-Verhältnisses. Der Rechtsstatus als Mutter steht stets im Einklang mit der biologischen „Wahrheit“ (sieht man von den seltenen Ausreißerfällen so genannter „Kindesvertauschung“ ab).
Vaterschaft
Angesichts der Deckungsgleichheit von Biologie und Recht in der Frage der Mutterschaft könnte angenommen werden, dass das Gesetz zur Lösung der Frage, welcher Mann in rechtlicher Hinsicht als Vater des Kindes gilt, in gleicher Weise auf den biologischen Sachverhalt abstellen würde und von Vornherein denjenigen Mann als Vater bestimmt, der das Kind gezeugt hat. Diesem Ansatz folgt das geltende Recht jedoch nicht.
Beruhend wohl darauf, dass im Gegensatz zur Geburt, welche ja als äußerer „Tatbestand“ objektiv in Erscheinung tritt, der Zeugungsakt als intimste „Begegnung“ zwischen Mann und Frau objektiv verborgen bleibt, klammert das Gesetz den Zeugungsaspekt an sich aus, um stattdessen die Vaterschaftsfrage abhängig davon zu lösen, ob das Kind ehelich oder unehelich geboren wird.
Ist die Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheiratet, gilt nach dem Gesetz ihr Ehemann als Vater des Kindes. Bei ehelicher Geburt knüpft das Gesetz daher an das Eheband zwischen der Kindesmutter und deren Ehemann an; dies im Gleichlauf mit dem Eherecht, wonach die Ehepartner einander wechselseitig ja zur ehelichen Treue verpflichtet sind. Im Gegensatz zur gesetzlichen Vaterschaftsvermutung bei ehelicher Geburt kommt bei unehelicher Geburt, wenn also die Mutter im Zeitpunkt der Geburt nicht verheiratet ist, das Kind ohne Vater zur Welt. Erst nachträglich wird die Vaterschaft in rechtlicher Hinsicht begründet, und zwar entweder freiwillig, indem ein Mann die Vaterschaft im Wege persönlicher Erklärung anerkennt, oder durch Feststellungsbeschluss des zuständigen Bezirksgerichtes auf Parteienantrag, wobei nach dem Gesetz der Antrag vom Kind gegen den Mann oder von diesem gegen das Kind gestellt werden kann.
Scheinvaterschaft
In den meisten Fällen wird jener Mann, welcher gemäß geltender Rechtslage in rechtlicher Hinsicht als Vater eines Kindes gilt, tatsächlich dessen biologischer Vater sein.
Gar nicht so selten kommen jedoch gegenteilig gelagerte Ausnahmefälle vor, nämlich dann, wenn eine verheiratete Frau ein Kind heimlich im Ehebruch empfängt, so dass ihr Ehemann entgegen der gesetzlichen Vaterschaftsvermutung nicht der Vater ihres Kindes ist, oder bei unehelicher Geburt, wenn ein Mann, obwohl er biologisch gar nicht der Vater ist, die Vaterschaft zu einem Kind (irrtümlich oder gar unfreiwillig) anerkennt, indem er dazu durch wahrheitswidrige Angaben, manchmal sogar durch List veranlasst oder allenfalls sogar gezwungen wird.
Moderne DNA-Tests fördern derartige, meist als „Kuckuckskindfälle“ bezeichnete Sachverhalte ans Tageslicht, wobei diese Bezeichnung, streng genommen, nicht richtig ist; dies deswegen, da anders als bei den Kuckucksvögeln, welche selbst überhaupt keine Brutpflege betreiben, auch die Weibchen nicht, sondern „Brutparasiten“ sind und ihre Jungen durch Wirtseltern (sowohl Männchen als auch Weibchen) aufziehen lassen, in „Kuckuckskindfällen“ beim Menschen nur ein Elternteil nicht „stimmt“, nämlich der (vermeintliche) Kindesvater. In der juristischen Diskussion wird daher bei diesen Sachverhalten treffender von Fällen so genannter Scheinvaterschaft gesprochen.
DNA-Test, Anfechtungsrecht
Schließt ein DNA-Test die (biologische) Vaterschaft jenes Mannes aus, der in rechtlicher Hinsicht als Vater eines bestimmten Kindes gilt, so ändert sich am Statusverhältnis zunächst gar nichts. Eine Nichtigkeitssanktion sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr bleibt der so genannte Scheinvater in rechtlicher Hinsicht weiterhin der Vater des Kindes. Das Gesetz räumt dem betroffenen Mann (und teilweise auch dem Kind) allerdings ein Anfechtungsrecht ein. Zur Geltendmachung können im Außerstreitverfahren Anträge gestellt werden, deren Inhalt davon abhängt, auf welchem Wege rechtlich die Vaterschaft begründet worden war. Die bei ehelicher Geburt maßgebliche Vaterschaftsvermutung kann durch Antrag auf Feststellung der Nichtabstammung angefochten werden, beruht bei unehelicher Geburt die Vaterschaft auf irrtümlichem oder erzwungenem Anerkenntnis, so kann die Rechtsunwirksamerklärung des Vaterschaftsanerkenntnisses beantragt werden.
Durch Einräumung des Anfechtungsrechtes verhilft das Gesetz in der Frage der Vaterschaft der biologischen „Wahrheit“ zumindest nachträglich zum Durchbruch.
Wird einer Anfechtung stattgegeben, „verliert“ das Kind den Vater in rechtlicher Hinsicht, es wird vaterlos. Die Vaterschaft wird ex tunc beseitigt, gerade so, als hätte sie nie bestanden. Genauso tiefgreifend, wie diese Rechtsfolge das Vater-Kind-Verhältnis „berichtigt“ bzw. beseitigt, belastet sie in sozialer Hinsicht das bis dahin bestandene Eltern-Kind-Verhältnis. Betroffene Kinder werden oft für ihr gesamtes weiteres Leben verunsichert, ihr Weltvertrauen wird erschüttert, während Scheinväter nicht selten in veritable Lebenskrisen verfallen, indem sie zwischen fortgesetzt liebevoller Gesinnung und neu entstandener Ablehnung für ein nun „fremdes“ Kind, welches sie oft lange Zeit für das eigene gehalten hatten, hin- und hergerissen sind. Zu alledem kommen Konflikte mit der Kindesmutter und Ressentiments gegenüber jenem Mann, welcher sich nachträglich als wahrer Vater des Kindes herausstellt. Wenn fallweise der Vater überhaupt unbekannt bleibt, erfährt das betroffene Kind meist eine Traumatisierung, indem es zeitlebens um die eigenen Wurzeln nicht Bescheid weiß.
Anfechtungsfrist
Aus Gründen der Rechtssicherheit ist das Anfechtungsrecht befristet, indem es binnen zwei Jahren ab Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände bzw. nach Entdeckung der Täuschung, des Irrtums oder nach Wegfall der Zwangslage ausgeübt werden muss. Später als 30 Jahre nach der Geburt des Kindes kann nach dem Gesetz nur noch das Kind die Feststellung der Nichtabstammung oder die Unwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses beantragen.
„Berichtigung“ des Vater-Kind-Verhältnisses
Nach stattgegebener Vaterschaftsanfechtung bedarf es eines zweiten Schrittes, damit statt des „wegfallenden“ Scheinvaters der biologisch wahre Vater des Kindes die Rechtsstellung als Vater erlangt, nämlich entweder durch ein von ihm erklärtes Vaterschaftsanerkenntnis oder durch gerichtliche Feststellung auf Antrag entweder des Kindes oder des wahren Vaters. Dem Scheinvater hingegen steht nicht zu, die Feststellung der Vaterschaft eines anderen Mannes zu beantragen.
Eine Vaterschaftsanfechtung kann unter Umständen unterbleiben bzw. „übersprungen“ werden, nämlich dadurch, dass entweder der wahre Vater trotz vorläufig aufrechter Vaterschaft des Scheinvaters ein so genanntes „durchbrechendes“ Vaterschaftsanerkenntnis abgibt und das Kind dem Anerkenntnis zustimmt oder aber das Kind Antrag auf so genannten „Vätertausch“ stellt. Beiden gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfen ist gemein, dass ohne vorgängige Vaterschaftsanfechtung der Scheinvater die Rechtsstellung als Vater verliert, indem in rechtlicher Hinsicht stattdessen das Vater-Kind-Verhältnis zwischen dem wahren Vater und dem Kind neu begründet wird.
Rechtsfolgen erwiesener Fremdvaterschaft
Auch wenn sich durch DNA-Test herausstellt, dass ein Mann, der in rechtlicher Hinsicht als Vater eines Kindes gilt, in Wahrheit nicht dessen biologischer Vater ist, zieht dies so lange keine Rechtsfolgen nach sich, als nicht durch Vaterschaftsanfechtung oder durchbrechendes Anerkenntnis oder Antragstellung auf Vätertausch die Scheinvaterschaft ex tunc beseitigt wird. Bis dahin bleibt „alles beim Alten“, insbesondere bestehen zu Lasten des Scheinvaters sowohl dessen Unterhaltspflichten als auch das Erbrecht ihm gegenüber weiter fort.
Erst die Beseitigung des „falschen“ Vater-Kind-Verhältnisses zieht erhebliche Rechtsfolgen nach sich: Die Unterhaltspflichten des Scheinvaters erlöschen. Das Erbrecht ihm gegenüber entfällt. Darüber hinaus billigt das geltende Recht dem Scheinvater insbesondere Ersatzansprüche für jene Unterhaltsaufwendungen zu, welche er oft jahre- oder jahrzehntelang für das fremde Kind getätigt hat.
Ersatz der Unterhaltsaufwendungen vom Kind?
Die Unterhaltsaufwendungen des Scheinvaters sind in erster Linie dem „Kuckuckskind“, das er irrtümlich für ein eigenes Kind gehalten hat, zugutegekommen. Daher könnte argumentiert werden, dass das Kind dem Scheinvater auf bereicherungsrechtlicher Grundlage Ersatz schuldet.
Dagegen wird jedoch das Kind regelmäßig mit Erfolg den gutgläubigen Verbrauch der Unterhaltsleistungen einwenden können; dies gestützt auf die schon vor Jahrzehnten durch das Judikat 33 begründete Judikaturlinie, wonach die mittlerweile ständige Rechtsprechung nicht nur bei Lohn-, Gehalts- und Pensionszahlungen, sondern insbesondere eben auch bei Unterhaltszahlungen, die gutgläubig verbraucht worden sind, die Rückforderung ausschließt.
Unterhaltsregress gegen den wahren Vater
Vom tatsächlichen Vater kann der Scheinvater nach dem Gesetz seinen gesamten Unterhaltsaufwand ohne Beschränkung der Dauer der erbrachten Leistungen bereicherungsrechtlich zurückverlangen; dies dogmatisch begründet damit, dass der Scheinvater einen Aufwand getätigt hat, den nach dem Gesetz ein anderer, und zwar der wahre Vater hätte machen müssen.
Der Umfang des Regressanspruchs ist zweifach begrenzt, und zwar einerseits mit der Leistung des Scheinvaters, der nicht mehr beanspruchen kann, als er tatsächlich aufgewendet hat, und andererseits mit der Verpflichtung des wahren Vaters, denn dieser hat nur in dem Ausmaß Ersatz zu leisten, als er nach dem Gesetz Unterhalt für das Kind hätte leisten müssen, wäre seine Vaterschaft richtig von Geburt an festgestanden. Da sich die Höhe des Kindesunterhalts nach dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen bemisst, erhält der Scheinvater vom wahren Vater nur dann vollen Ersatz, wenn sein Einkommen während der Zeit der „abgeirrten“ Unterhaltsleistungen nicht höher als jenes des wahren Vaters war. War der tatsächliche Vater einkommensschwächer als der Scheinvater, erhält der Scheinvater nicht vollen Ersatz. Wegen der „ungedeckten“ Differenz kann er sich allenfalls jedoch an die Kindesmutter halten.
Strittig war, ob der Scheinvater den Unterhaltsregress gegen den wahren Vater auch dann geltend machen kann, wenn der tatsächliche Vater zwar bekannt, in rechtlicher Hinsicht als Vater allerdings (noch) nicht festgestellt ist. Dies hat der Oberste Gerichtshof im Jahr 2015 zuletzt dahin bejaht, dass in einem Unterhaltsregressprozess des Scheinvaters nach § 1042 ABGB die Beurteilung, ob der beklagte Mann der biologische Vater des Kindes ist, als Vorfrage mit den Mitteln der ZPO mit Wirkung bloß zwischen den Parteien und für dieses Verfahren zulässig ist.
Ersatz der Unterhaltsaufwendungen von der Kindesmutter?
Gegen die Kindesmutter kommen Schadenersatzansprüche in Betracht. Die Rechtslage dazu unterscheidet zwischen Fällen ehelicher Geburt und jenen unehelicher Geburt. Je nach Fallkonstellation sind die Anspruchsvoraussetzungen durchaus unterschiedlich.
Verjährung
„Kuckuckskindfälle“ werden oft erst nach vielen Jahren oder gar erst nach Jahrzehnten aufgedeckt, so dass sich die Frage nach der Verjährung stellt.
Diese Rechtsfrage wurde dahin entschieden, dass der Scheinvater nach Wegfall seiner Vaterschaft den gesamten Unterhaltsaufwand ohne Beschränkung der Dauer der erbrachten Leistungen zurückverlangen kann, und zwar bereicherungsrechtlich vom wahren Vater oder schadenersatzrechtlich von der Kindesmutter; dies begründet damit, dass jede Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn für den Gläubiger die objektive Möglichkeit der Geltendmachung seines Anspruchs bestand.
Die Verjährungsfrist beträgt einheitlich 3 Jahre ab Beseitigung der Vaterschaft.
Zusammenfassung
Das menschliche Leid, welches die Aufdeckung von „Kuckuckskindfällen“ auslöst, vermag kein Gesetz zu lindern. Korrekturen ermöglicht das geltende Recht wenigstens in finanzieller Hinsicht, indem es in Form von Ersatzansprüchen dem Scheinvater einen Ausgleich für jene Unterhaltsaufwendungen zubilligt, die er irrtümlich für ein fremdes Kind getätigt hat. Nachträglich sollen nach Möglichkeit und mit den dargelegten Einschränkungen sowohl Scheinvater als auch wahrer Vater so gestellt werden, als wäre die Frage der Vaterschaft von Geburt des Kindes an richtig geklärt gewesen. Bleibt aber der wahre Vater unbekannt, muss unter bestimmten Voraussetzungen die Kindesmutter den Scheinvater schadlos halten. Schadenersatzpflichtig bleibt die Kindesmutter als Solidarschuldnerin allerdings auch dann, wenn der wahre Vater bekannt wird.